PatientenwohnzimmerMöglichkeit zum Rückzug vom Kliniksalltagvon Susanne Schmidt
Marburg. Nach siebenjähriger Vorarbeit wurde gestern das erste „Patientenwohnzimmer“ im Hauptgebäude des Uniklinikum auf den Lahnbergen offiziell eingeweiht.
von Susanne Schmidt
Diagnose: Krebs – nicht nur für Betroffene, sondern auch für deren Angehörige oftmals ein Schock. Im Kampf gegen die Krankheit sind neben der medizinischen Versorgung auch regelmäßige Gespräche notwendig.
Bisher fanden die Besprechungen in den Krankenzimmern der Stationen für Hämatologie und Onkologie beziehungsweise für Strahlentherapie oder auf dem Klinikflur statt. Nun bietet das extra dafür eingerichtete „Patientenwohnzimmer“ eine ungestörte und vertrauliche Atmosphäre.
„Die Abschirmung ist im Klinikalltag nicht immer möglich“, sagte Mitinitiatorin Beatrix Wissel, Vorstandsmitglied des Vereins „Hilfe bei Leukämie und Krebs Marburg“. Nach siebenjähriger Vorarbeit setzte der Verein, der sich 1998 zur Unterstützung der an Krebs erkrankten Patienten gründete, die Idee nun im großen Aufenthaltsraum im dritten Stock des Hauptgebäudes auf den Lahnbergen um.
Nachdem die Wände des nach oben offenen Separees bereits im September 2005 aufgestellt worden waren, folgte vor kurzem die Einrichtung mit Möbeln.
„Das Schwierigste war, einen geeigneten Raum zu finden“, berichtete Wissel. Ursprünglich sei das spezielle Wohnzimmer in Form eines gläsernen Wintergartens geplant gewesen. „Ich bin froh, dass das Ergebnis anders aussieht“, so Wissel – biete es doch so eine bessere Abschirmung.
Ob bei offener oder geschlossener Schiebetür – die Atmosphäre in dem zwölf Quadratmeter großen Raum im obersten Stockwerk, in dem zwei Sofas und ein verstellbarer Liegesessel mit Hocker bereit stehen, wirkt einladend und heimelig.
Durch das Sonnenlicht, das durch ein großes Oberlicht im Dach und die mit orange-roten Gardinen versehenen Fenster einfällt, erhält der Raum mit Bücherregal, Couchtisch und Stereoanlage einen warmen Charakter. „Wir haben uns bewusst für knalliges Rot entschieden“, sagte Stationsleiter Ralf Becker. Die Farbe der Sitzmöbel solle „Kraft rüberbringen“.
Der Clou des „Patientenwohnzimmers“ ist, dass die mit Scharnieren versehenen Wände einfach und schnell zusammengeschoben werden können: „So reicht der Platz auch, wenn im Aufenthaltsraum Konzerte stattfinden“, erklärte Wessel.
In seiner Doppelfunktion als Rückzugsmöglichkeit für Patienten und als Ort für Gespräche, zum Lesen oder Malen, ist das „Patientenwohnzimmer“ deutschlandweit wohl einzigartig: „Es ist Gold wert“, freute sich Julia Weinrebe, Psychoonkologische Psychotherapeutin in der Klinik.
Mehrmals wöchentlich nutzt die Diplom-Psychologin den Raum für vertrauliche Gespräche mit Patienten und deren Angehörigen. „Gerade für Kinder ist die Umgebung ideal“, so Weinrebe. Auch für ältere Männer, die ihre Gefühle in der Öffentlichkeit noch häufig unterdrückten, sei die schützende Umgebung des neuen Wohnzimmers hilfreich. „Hier kann ein 60-Jähriger auch weinen“, so Wissel.
Patienten, die das Angebot der Kunsttherapeutin Renate Kilpper wahrnehmen, funktionieren den neuen Raum zudem regelmäßig zu einem „offenen Atelier“ um.
Feste Regeln oder Zeiten für die Benutzung des „Patientenwohnzimmers“ gibt es nicht, aber: „Wenn die Tür geschlossen ist, ist der Eintritt nicht gestattet“, so Weinrebe.
Informationen zum „Patientenwohnzimmer“ und zur Arbeit des Vereins „Hilfe bei Leukämie und Krebs Marburg“ unter Telefon: 06421/2866427.